Frau Merkel, verspielen sie nicht ihre 2. Chance
Vielen Dank, Herr Präsident,
Frau Bundeskanzlerin, mit dieser Ratspräsidentschaft ist Ihnen eine zweite Chance gegeben. Europa hat nicht vergessen, dass die deutsche Antwort, dass ihre Antwort, auf die Finanz- und Wirtschaftskrise Austerität hieß.
Insbesondere der Süden Europas hat damals die Zeche für die Krise gezahlt. Mit massiver Jugendarbeitslosigkeit, Privatisierung, dem Abbau öffentlicher Daseinsvorsorge, geringeren Löhnen und Renten.
Diese falsche Politik hat die EU fast zerrissen. Ich hoffe, Sie finden die Einsicht, die Fehler von damals zu korrigieren. Denn anstelle einer Politik von Austerität braucht Europa eine Politik der Solidarität.
Frau Bundeskanzlerin, Sie werden daran gemessen, ob es gelingt, die Corona-Pandemie, wirtschaftlich und sozial zu meistern.
Ist hier heute eigentlich irgendjemandem aufgefallen, dass in dieser Debatte von denjenigen, die die Gesellschaft monatelang am Laufen gehalten haben, überhaupt noch nicht (nur einmal) die Rede war. Diejenigen also, die in den wirklich systemrelevanten, aber meistens prekären Jobs arbeiten: medizinisches Personal, Erzieherinnen, Verkäuferinnen und Verkäufer in Supermärkten oder Tankstellen oder Bäckereien.
Unsere politische Aufgabe ist es, für diese Menschen gegen prekäre Arbeit und gegen Armut vorzugehen.
Die Menschen in Europa sind den Streit zwischen den Mitgliedsstaaten leid, es braucht jetzt – noch vor dem Sommer – Klarheit über den Wiederaufbaufonds und das EU-Budget.
Wenn ich dann noch höre, so wie es hier im Haus vor allem ihre Parteienfreunde und eben gerade wieder Manfred Weber gefordert hat, dass die Mittelvergabe an Reformen gebunden sein soll, also wieder an Einsparungen und wieder an Privatisierungen, da fragt man sich ja, ob die Konservativen in der letzten Zeit keine Nachrichten geguckt haben.
Ich möchte Ihnen gern einen Rat geben, Frau Merkel: Bislang hat der deutsche Finanzminister Scholz die Digitalsteuer im Rat geblockt und auf die OECD verwiesen. Diese Ausrede ist ja nun hinfällig, nachdem sich die Regierung Trump aus den internationalen Verhandlungen zurückgezogen hat.
Deutschland muss aufhören, im Rat wichtige Vorhaben zu blockieren.
Neben der Digitalsteuer z.B. auch das sogenannte Country-by-country reporting; das so wichtig wäre, um den Steuervermeidungspraktiken großer Unternehmen einen Riegel vorzuschieben.
Der sozial-ökologische Umbau ist das Schlüsselprojekt für die Zukunft Europas. Dafür braucht es eine Klimaschutzpolitik, die den Zielen des Pariser Abkommens folgt. Und davon ist der Green Deal, so wie Sie und Frau von der Leyen ihn hier heute dargestellt haben, leider meilenweit entfernt.
Wenn Ihnen der Klimaschutz wirklich am Herzen liegen sollte, Frau Bundeskanzlerin, weshalb halten Sie dann an Handelsabkommen wie Mercosur fest? Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass der rechstextreme brasilianische Präsident Bolsonaro Mitverantwortung dafür trägt, dass der Urwald im Amazonas abgeholzt wird.
Im Übrigen finde ich, dass Demokratien mit Rechtsextremen keine Handelsverträge abschließen dürfen. Oder spielen dann – wenn es ums Business geht – die sogenannten europäischen Werte keine Rolle mehr?
An den europäischen Außengrenzen sinken diese Werte mit jedem Ertrinkenden auf den Boden des Mittelmeeres. Diese Menschen rettet man nicht durch schmutzige Deals mit Autokraten oder Warlords, sondern mit einer auf Menschenrecht und Solidarität basierenden europäischen Migrationspolitik. Sagen Sie das Ihrem Innenminister Seehofer.
Das Vertrauen in die europäische Demokratie können Sie jedoch stärken, indem Sie den Lobbyeinfluss auf den Rat zurückdrängen und die Ratsprotokolle veröffentlichen. Das wäre ein sinnvoller Schritt, dem allerdings viele weitere folgen müssten, um aus dem Neben- und Gegeneinander der Mitgliedsstaaten in der Coronakrise ein Miteinander zu machen, dessen Ziel eine sozial gerechte, ökologische und demokratischere Europäische Union ist.
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