Gedenken der Opfer des nationalsozialistischen Terrors
Sehr geehrte Damen und Herren, geschätzte Gäste, liebe Genossinnen und Genossen,
es ist mir eine große Ehre, hier heute mit Ihnen und euch den Tag der Befreiung vom Faschismus zu begehen und zugleich hier an diesem Ort der Opfer des nationalsozialistischen Terrors zu gedenken.
Der 8. Mai ist ein Tag, der uns, der die Menschheit mahnt, jeden Tag und allezeit achtsam zu sein und zu bleiben. Achtsam, damit sich die Geschichte der Umwandlung einer Gesellschaft in eine brutale Diktatur, deren menschenverachtende Ideologie der Ungleichwertigkeit von Leben schließlich in die verheerendste kriegerische Katastrophe und industriellen Völkermord mündete, niemals wiederholen wird.
Mein eigener Großvater war Überlebender eines Todesmarsches. Er wurde als kommunistischer Häftling nach elf Jahren Lagerhaft in verschiedenen nazistischen Zuchthäusern und Konzentrationslagern von der US-Armee befreit, als die Häftlinge des in Bayern liegenden KZ Flossenbürg von der SS durch die Landschaft der sich im Untergang befindlichen Nazidiktatur gejagt und viele von ihnen erschossen wurden. Völlig entkräftet überlebte er auch diese letzte Etappe seiner langjährigen Tortur, weil die SS-Wachen in Panik die Flucht ergriffen, als sich die Panzer der US-Armee näherten. Mein Großvater Karl sagte später immer, dass er keinen weiteren Tag überlebt hätte.
Und so kann ich heute hier vor ihnen stehen, um mit ihnen derjenigen Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald zu gedenken, die hier in der Gegend im Frühjahr 1945 auf dem Todesmarsch des KZ-Buchenwalds in ihren Tod gehetzt und erschossen wurden. Ihnen ist dieser Ort gewidmet, ihrer gedenken wir hier ebenso wie den zu Tode gekommenen Zwangsarbeitern, die von den Nazis aus ihren Ländern fortgerissen in Deutschland zur Arbeit gezwungen und von der nazistischen Kriegswirtschaft ausgebeutet wurden. Tiefe Trauer erfüllt mich angesichts ihres Leidens und ihres Opfers. Ihren Nachkommen gilt unsere tiefste Anteilnahme und unser ganzer Respekt.
Ihr Opfer und ihr Kampf sind uns Mahnung. Mahnung, die derzeitige gesellschaftlichen Entwicklungen nicht unwidersprochen hinzunehmen. Die heutige Rechte, die sich oftmals in direkter ideologischer und politischer Nachfolge sieht zu den faschistischen und nationalsozialistischen Regimen, die in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts weite Teile Europas beherrscht, den 2. Weltkrieg entfesselt und Dutzende Millionen Menschenleben gekostet haben, erstarkt. Und mit ihr erstarkt ihr menschenverachtendes Weltbild. Grundwerte des gesellschaftlichen Miteinanders, des Grundkonsens, im Anderen seinesgleichen zu erkennen, werden heute wieder in zunehmendem Maße öffentlich in Frage gestellt und angegriffen.
Im Europäischen Parlament sind bereits heute gut 20 Prozent der Abgeordneten in Fraktionen organisiert, die sich selbst politisch rechts der Konservativen verorten. Die Spannbreite reicht von offen faschistischen Formationen bis hin zu modernen rechtsextremen Parteien wie etwa der AfD. Die jüngsten Wahlergebnisse in vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union deuten leider sehr deutlich darauf hin, dass die Rechte nach den kommenden Wahlen in einem Jahr, im Mai 2019, noch stärker im Europäischen Parlament vertreten sein wird.
Doch der gegenwärtige Rechtsruck, der sich in vielen europäischen Ländern, und auch in Deutschland vollzieht, findet seinen Ausdruck nicht nur in bloßen Wahlergebnissen und parlamentarischer Repräsentanz dieser faschistischen Farce. Er spiegelt sich in unserem Alltag wider, indem demokratische Grundwerte angegriffen werden und die Freiheit der Meinungsäußerung, der Medien, die Unabhängigkeit der Justiz eingeschränkt werden. Der Rechtsruck vollzieht sich, indem Frauenrechte eingeschränkt werden, indem Notleidenden Hilfe versagt wird, indem der öffentliche gesellschaftliche Diskurs um Begriffe und Deutungsmuster der Rechten erweitert und Werte und Rechte, die uns bis vor kurzem noch als gesichert galten, heute in Frage gestellt sind.
Was es angesichts dieser Entwicklung braucht, ist ein humanistischer und antifaschistisch-demokratischer Grundkonsens gesellschaftlicher Entwicklung. Darin besteht das entscheidende Gebot, das uns allen aus den Verbrechen des 20. Jahrhunderts überantwortet worden ist. Diese Verantwortung und zugleich Pflicht entschieden wahrzunehmen, dazu gemahnen uns die Toten, derer wir heute hier gedenken.
“Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen. Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.” Aus diesen Worten Primo Levi’s, eines Überlebenden des KZ-Auschwitz, einen politischen Handlungsauftrag abzuleiten, gewinnt tagtäglich an Dringlichkeit.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste, liebe Genossinnen und Genossen, es darf nicht wieder geschehen. Das sagt uns dieser Ort. Diese Verantwortung geben uns die Verfolgten und Ermordeten, derer wir heute gedenken, mit auf unseren Lebensweg. Dass es nicht wieder geschieht, darauf ist mein politisches Handeln ausgerichtet.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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