Ein persönlicher Reisebericht

Ende Juli war ich auf Lesbos, um mich vor Ort über die Situation der Geflüchteten zu informieren, mit vielen Vertreterinnen und Vertretern von NGOs zu reden und wenn möglich mitanzupacken. In Deutschland wütete gerade die CSU gegen das Asylrecht, gegen die Seenotrettung und zivilgesellschaftliche NGOs, die Geflüchteten helfen.

Lesbos ist nur wenige See-Kilometer von der Türkei entfernt und war damit einer der Hotspots des sogenannten Sommers der Migration 2015. Noch immer leben ca. 10.000 Geflüchtete Menschen auf der Insel. Sie stammen aus den Kriegsgebieten des Nahen Ostens, aus Afrika und seit der innenpolitischen Verschärfung in der Türkei auch aus hauptsächlich dem Süden der Türkei. Zurzeit schaffen diesen Seeweg trotz des EU-Türkei-Deals monatlich über 300 Flüchtende, der für die meisten ihren vorerst letzten Schritt nach Europa bedeuten soll. Ende Juli, als ich Lesbos wieder verließ, waren seit Jahresbeginn bereits 89 Menschen auf dem Meer in der Region ertrunken. Mittlerweile ist die Zahl auf 106 angestiegen.

Aufgrund seiner geografischen Lage ist Lesbos immens wichtig und gleichzeitig in der Widerspiegelung der Medien komplett aus dem Fokus geraten. Ich konnte während meines Aufenthaltes mit vielen Ehrenamtlichen von NGOs sprechen. Sie kommen aus ganz Europa, aber auch aus Israel und aus den USA. Sie wollen den geflohenen Menschen helfen, verbringen hier oftmals ihren Jahresurlaub, um einen psychisch und physisch anstrengenden Fulltimejob zu verrichten. Für sie eine Selbstverständlichkeit. Viele, die ich treffe sind Studenten, Doktoranden, Juristen, Lehrer oder Selbstständige. Um hier zu helfen zu können, darf man nicht viel zum Leben benötigen oder sein mühsam Erspartes für die gute Sache investieren, denn die NGOs haben oft kein Geld, um ihre Helfer zu finanzieren: Im besten Sinne Ehrenamt. Dennoch leisten sie unglaublich viel, sind gut organisiert und untereinander vernetzt.

Die eine NGO übermittelt telefonisch die Daten von in Seenot geratenen Booten an die zuständigen Behörden und die zivile Seenotrettung. Eine andere, wie Lighthouse Relief, beobachtet die Meerespassage zwischen Lesbos und der Türkei, auch mit einem Nachtsichtgerät, um gekenterte Boote zu sichten. Refugee Rescue besitzt ein Rettungsboot, mit dem sie helfen können. Allerdings sind sie alle abhängig von der Kooperation mit den Behörden, etwa der griechischen Marine oder auch den Frontexschiffen, die im östlichen Mittelmeer im Einsatz sind. Erst wenn die lokalen Behörden ihr okay geben, dürfen sie eingreifen, aktiv werden und Menschen retten. Manchmal bleibt aber das okay aus – mit dramatischen Folgen, erzählen mir die Ehrenamtlichen.

Haben die Geflüchteten die Überfahrt überstanden, sind sie zwar an Land, aber ein anderes Martyrium beginnt. Sie kommen in das Flüchtlingslager Moria, dass auf der Insel schlicht nur  „the hell“ (die Hölle) genannt wird. Für viele Tausend das Ende ihrer Flucht. Wegen der grausamen und unmenschlichen Zustände in dieser maßlos überfüllten, ehemaligen Kaserne haben etliche NGOs und Vereine Alternativen für die Geflüchteten geschaffen. One happy family ist ein privat finanziertes und von NGOs betriebenes Gemeinschaftszentrum, in dem es mittlerweile selbstgebaute Sportanlagen, Aufenthaltsräume, Gärten und sogar eine kleine Schule gibt. Bis zu tausend Menschen verbringen hier ihren Tag. Direkt am oberen Hang der Küste gelegen, bieten einige NGOs dort auch Schwimmunterricht an, da der Großteil der Geflüchteten, die sich über das Meer auf der Insel begeben, nicht schwimmen kann. Auch direkt im Zentrum der Hauptstadt von Lesbos, Mytilini, wurde eine selbstorganisierte Schule mit über 600 Schülerinnen und Schülern errichtet. Etwas außerhalb gibt es das selbstbetriebene und erbaute Flüchtlingscamp Pikpa. Hier stehen Häuser gespendet vom UNHCR, privaten Spendern, aber auch selbsterbaute Häuser. Alles selbstverwaltet und selbst organisiert. Allerdings sagt mir die Gründerin des Camp Efi, dass die lokalen griechischen Behörden das Camp schließen wollen, angeblich wegen einer defekten Dusche.

Die NGOs berichten über ihre zwei größten Hindernisse: Die Verwaltung und das Geld. Über die EU wollen sie gar nicht reden. Vor drei Jahren als täglich über die Situation der Geflüchteten in den Medien geschrieben wurde, war der Fokus auf die Lage der Geflüchteten gerichtet und sie erhielten viele Spenden, so dass die NGOs ihre Ehrenamtlichen verpflegen konnten und genügend Geld für Sprit für ihre Rettungsboote hatten. Vor drei Jahren waren sieben NGOs mit Rettungsbooten und -schiffen auf Lesbos. Heute ist nur noch Refugee Rescue mit seinem Rettungsboot auf der Insel und seit dieser Woche auch endlich die SeaWatch 1.  Monatelang musste die NGO Mare Liberum aus Berlin Behördengänge absolvieren bis sie diese Woche endlich eine Flagge erhalten haben. Denn ohne Flagge darf ein Schiff nicht auslaufen. Davor lag das Schiff mit seiner Besatzung im Hafen fest.

Seit meinem Aufenthalt sind nun fünf Wochen vergangen. Ehe ich meinen Reisebericht verfassen wollte, wollte ich, das Gesehene und Gehörte, diese Vielzahl von Erlebnissen, sacken lassen. Seitdem geht mir immer wieder ein Gespräch durch den Kopf, das ich mit einem Griechen führte, der mich fragte, was ich als Deutscher eigentlich von den Griechen hielte. Er könne nicht verstehen, warum auf der einen Seite die Türkei für ihren Deal mit der EU Milliarden erhielte, um Menschen an der Flucht nach Europa zu hindern, wohingegen Griechenland allein gelassen wird mit der Lösung der Situation, wie sie denjenigen helfen, die die Türkei – auch aus innenpolitischen Gründen – nicht aufhält.

Seiner Ansicht nach leben wir in einer EU, die gemeinsam vor 10 Jahren über Nacht hunderte Milliarden Euro zur Rettung von Banken stemmen konnte. Aber sobald es um Menschenleben geht, scheint eine gemeinsame Lösung nicht möglich zu sein – oder sie ist nicht gewollt. In beiden Fällen, sagt er, ist das ein Europa, das zum Scheitern verurteilt ist.

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Liste der NGOs:

 

Mare Liberum www.mare-liberum.org/de

Lighthouse Relief www.lighthouserelief.org/

Refugee Rescue www.refugeerescue.co.uk/

One happy family www.ohf-lesvos.org/en/welcome/

Pikpa www.lesvossolidarity.org/en/

Mosaik Center www.lesvosmosaik.org/