Digitale Teilhabe für alle, statt digitaler Spaltung
von Katja Kipping, Katalin Gennburg und Martin Schirdewan.
Positionen für eine soziale Digitalisierung.
2020 ist das Jahr der Pandemie, der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und mehr denn je wird Digitalisierungspolitik gesellschaftlich verhandelt. Wir fordern einen Green New Deal, der Von der Leyens digitalem Deal mit den Konzernen klar gegenübersteht und der digitale Teilhabe statt digitaler Spaltung zum Ziel hat.
In der Corona-Krise zeigt sich besonders deutlich, wer keinen digitalen Zugang hat, ist von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen, ob in Bildung, Arbeit, Kultur oder Freizeit. Die Coronakrise hat die digitale Spaltung der Gesellschaft und die damit einhergehende soziale Spaltung dramatisch offengelegt: Wer keinen oder nur schlechten Zugang zu digitalen Kommunikationsmedien hat, wer zudem arm ist, der ist zweifach abgemeldet – digital und sozial. Die digitale Spaltung unserer Gesellschaft muss überwunden werden, denn sie ist ein Anachronismus in einer Zeit, in der wir über künftige Formen der Arbeit, des Arbeitsortes und der Kommunikation neu verhandeln. Datensouveränität und digitaler Zugang müssen heutzutage soziale Grundrechte sein. Denn: Sie sind Bedingungen für demokratische Teilhabe. Völlig unabhängig, ob in der Stadt oder im ländlichen Raum. Digitaler Zugang ist zugleich auch eine Grundbedingung moderner Produktion und von erfolgreichen Wirtschaftsstandorten. Auch hier gilt: Digitale Gleichberechtigung in Ost und West, zwischen Stadt und Land, weltweit – für ein echtes World Wide Web.
Die Ausgestaltung der Digitalisierung ist umkämpft. Dies betrifft sowohl den Schutz der Nutzer*innen und ihrer Daten als auch den Schutz von Beschäftigten, den Kampf um eine Entlastung der Arbeitenden. Nicht zuletzt geht es um die Frage, welche öffentlichen Dienstleistungen wir brauchen und wie wir den Zugang zu diesen für alle sicherstellen. Eine „gute digitale Gesellschaft“ (Philipp Staab) braucht deswegen das entschiedene Ringen aller linken und progressiven Kräfte um die Gestaltung von digitalen Möglichkeitsräumen.
Die „digitale Agenda“ im aktuellen Konjunkturpaket der Bundesregierung umfasst vor allem milliardenschwere Subventionen für private Konzerne. In ihrem 130 Mrd. Euro Konjunkturprogramm hat sie 50 Milliarden Euro für Zukunftsinvestitionen eingeplant, von denen 20 Milliarden für den Ausbau der Digitalisierung vorgesehen sind. Damit baut sie Netzinfrastruktur auf Staatskosten aus, wo dies von den privaten Netzbetreibern nicht geschieht, fördert künstliche Intelligenz und Quantencomputing, und stellt Milliarden für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, von Krankenhäusern und für Telemedizin bereit. Beschleunigte Digitalisierung ist neben dem Ausbau der Wasserstoffwirtschaft und der Elektromobilität eins der drei Zukunftsfelder, in denen die Regierung Zukunftschancen für deutsche Unternehmen sieht. Ihr Ziel: Sie will den Unternehmen ausdrücklich zu internationaler Konkurrenzfähigkeit verhelfen und ihre Exportchancen fördern. Das Ergebnis: Der Staat springt vor allem dort ein, wo es – wie etwa beim Breitbandausbau – für die Konzerne nicht unmittelbar profitabel ist und verpasst zugleich die Chance, die Netzinfrastruktur in öffentliche Hand zu nehmen und einen gerechten Rahmen zu setzen, der allen helfen würde.
Zeitgleich will die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Jahr der deutschen Ratspräsidentschaft dazu nutzen, einen Digital Services Act (DSA) für die EU zu schmieden und damit die digitale Verwertungspolitik von Internetkonzernen noch weiter auszubauen. Der DSA soll zur Neuordnung des elektronischen Geschäftsverkehrs führen. Das bedeutet, dass durch ihn entscheidende Weichen für die Zukunft des digitalen Binnenmarktes gestellt werden. Es ist an uns, diesen Gesetzgebungsakt zu nutzen, um Plattformen zu beschränken und Monopole aufzubrechen.
Wir sagen als LINKE klar: Es geht jetzt um eine Digitalisierungspolitik für die Menschen, statt noch mehr Beinfreiheit und Verwertungsräume für Plattformkonzerne und Internetmonopole! Der DSA könnte einen entscheidenden Beitrag zu mehr Datensicherheit leisten und zudem dafür sorgen, dass Algorithmen endlich transparent offengelegt werden müssen, damit sie nicht länger gegen Verbraucher in Stellung gebracht werden können.
Die Giganten an die Kette legen
Die großen Digitalkonzerne Amazon, Facebook, Google, Apple & Co. haben sich systematisch eine marktbeherrschende Stellung geschaffen. Das Ergebnis: Sie besitzen unsere Daten, verweigern sich einer gerechten Besteuerung und bestimmen die Technik der Zukunft. Und sie schlagen aus der Krise Kapital: Von April bis Juni machten die vier Konzerne zusammen 200 Milliarden Euro Umsatz. Die Bundesregierung agiert hier gemeinsam mit der EU wie ein schläfriger analoger Riese: Sie tun wenig, das auch nur sehr langsam und regulieren nach dem Gusto von Verwertbarkeit. Wir fordern eine zupackende Politik für digitale Demokratie, die mit Steuern, Ordnungsrecht, Datenschutz, Transparenzpflichten und Kartellämtern dafür sorgt, dass die Macht der Technologie-Konzerne und des digitalen Plattform-Kapitalismus begrenzt wird. Digitalisierung darf nicht allein profitorientiert, sondern gehört gemeinwohlorientiert ausgerichtet.
. Deswegen müssen Internet- und Tech-Konzerne demokratisch reguliert werden. Eine „digitale Strategie“ beginnt damit, die Monopolmacht von Amazon & Co. durch ein zeitgemäßes Kartellrecht einzuhegen. D.h.: Es braucht ein Kartellrecht, das auch online scharfe Zähne hat. Bisher werden Facebook & Co. nach dem Kartellrecht nicht als Monopole behandelt – weil das Recht noch aus dem industriellen Zeitalter kommt, es muss endlich an die digitale Zeit angepasst werden: Die neuen Monopole müssen entflochten werden. Digitalkonzerne, die ihre Betriebssysteme als Standard durchsetzen, um anschließend Anwendungen und Innovationsgeschwindigkeiten zu bestimmen, werden dann zum Fall für das Kartellamt. Die Gewinnverschiebung von Digitalunternehmen durch diverse Tricks, wie z. B. das Kleinrechnen von Gewinnen in Deutschland durch Abzüge astronomischer Lizenzzahlungen an das ausländische Mutterunternehmen, muss endlich unterbunden werden. Es gilt das Konzept der “virtuellen Betriebsstätte” auch im Steuerrecht zu verankern, damit Digitalunternehmen in den Ländern Steuern zahlen müssen, wo sie tatsächlich wirtschaftlich aktiv sind.
Zudem wäre es möglich, den DSA so auszugestalten, dass der Marktzugang bereits von vorne herein an Bedingungen wie Steuerzahlungsplichten geknüpft ist und so einen gleichberechtigten Zugang auch für kleine und mittelständische Unternehmen zu schaffen.
Die Daten sind wir
Wir brauchen echte Datensouveränität, d. h., dass die Menschen das Eigentum an den eigens produzierten Daten und die Hoheit über ihre Privatsphäre haben. Die Interessen von Nutzer*innen und Beschäftigten am Schutz ihrer Daten und Persönlichkeitsrechte bei der Nutzung digitaler Systeme müssen gegenüber dem Interesse von Unternehmen, durch Aus- und Verwertung möglichst großer Datenmengen neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, verteidigt werden.
Im digitalen Kapitalismus zweifeln viele Menschen zurecht daran, ob ihre persönlichen und teilweise sensiblen privaten Daten bei den Firmen (oder auch bei der Regierung) in guten Händen sind. Viele Beispiele von Datenmissbrauch und politischer Manipulation durch Unternehmen wie Facebook zeigen, wie berechtigt diese Skepsis ist. DIE LINKE setzt sich deshalb für konsequenten Schutz der Daten von Nutzer*innen und Beschäftigten ein. Die Nutzung öffentlich zugänglicher Angebote muss möglich sein, ohne dass die dabei entstehenden Daten wirtschaftlich verwertet werden. Geschäftsbedingungen müssen allgemeinverständlich sein und die Möglichkeit beinhalten, die Weiterverwendung der anfallenden Daten auszuschließen.
Digitale Mitbestimmung am Arbeitsplatz
Assistenzsysteme, künstliche Intelligenz, autonome Steuerungstechnik u.a. haben das Potential, menschliche Arbeit zu erleichtern und Produktivitätspotentiale zum Nutzen aller freizusetzen. Sie können eine Befreiung von körperlich schwerer oder monotoner Arbeit sowie eine Verkürzung der Arbeitszeit für alle ermöglichen. In der Realität kapitalistischer Unternehmen führen diese Technologien jedoch oft zur Verdichtung von Arbeit, zur Erhöhung des Stresses, zu verstärkten Kontrolle durch das Management, zur Verlagerung von Tätigkeiten auf tariflose Subunternehmen und zum Druck auf Tarifstandards, Löhne und Arbeitsbedingungen. Beispielhaft führen dies die von Amazon eingesetzten Handscanner vor Augen, die jeden Schritt der Beschäftigten überwachen und damit Abweichungen von der vorgeschriebenen Routine sanktionierbar machen. Das ist das Gegenteil von Emanzipation der Arbeitskraft durch Technologie, sondern bedeutet vielmehr ihre Knechtung. Dabei könnte die digitale Technologie Hilfestellung leisten, die Arbeit besser im Sinne der Beschäftigten zu machen, sie können kreative Potenziale wecken und neue Freiräume schaffen. Um die emanzipatorischen Potentiale der technischen Möglichkeiten in der Produktion zu nutzen, müssen die Mitbestimmungsrechte der Belegschaften und ihrer Betriebsräte über den Einsatz der Technologien geschützt und erweitert werden. Betriebsräte und Belegschaften müssen auch über die Personalbemessung ein echtes Mitbestimmungsrecht bekommen.
Unternehmerverbände werben aktuell für das Gegenteil: Sie wollen das Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte bei der Einführung von IT-Systemen beschneiden und die Arbeitszeitschutzregelungen abschaffen, um allein entscheiden zu können, wann und unter welchen Bedingungen Beschäftigte künftig zu arbeiten haben. Doch die digitale Demokratie darf nicht am Werkstor enden. Dazu gehört auch ein Verbot oder die enge Begrenzung der Verlagerung von Tätigkeiten auf Subunternehmen, wie es aktuell für die Fleischindustrie diskutiert wird, oder (neue) Formen der Scheinselbstständigkeit (Plattformökonomie).
Zudem brauchen wir eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit auf 30h in Vollzeit, um die Produktivitätsfortschritte allen zu Gute kommen zu lassen und allen ausreichend Zeit für Familie und Sorgearbeit, für politische Einmischung, persönliche Weiterbildung und Muße zu ermöglichen.
Die Umweltbilanz der Digitalisierung
Wer von Digitalisierung spricht, darf vom Ökologischen Fußabdruck der Digitalisierung und der ökologischen Ausbeutung des globalen Südens nicht schweigen. Der digitale Kapitalismus fußt auf schmutziger Ausbeutung und der Kontinuität kolonialer Ausbeutungsverhältnisse. Für die Hardware benötigte Rohstoffe wie Lithium und Kobalt kommen nicht selten aus Krisenregionen, werden oft unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut und führen zu neuen imperialen Abhängigkeitsverhältnissen. Der Stromverbrauch für die Rechenzentren sowie die Endgeräte ist immens, das Streamen von Medien ist bekanntlich ein Klimakiller. und Serverfarmen rentieren sich mehr als Landwirtschaft. So verkehrt sich auch die Chance der Digitalisierung zu einem effektiveren Klima- und Ressourcenschutz aufgrund der fehlenden politischen Regulierung in ihr Gegenteil. DIE LINKE setzt sich deshalb für eine gesellschaftliche Diskussion darüber ein, in welchen Bereichen wir digitale Anwendungen nutzen wollen, und wo dies im Sinne des Umweltschutzes, des Schutzes der Arbeits- und Menschenrechte sowie im Rahmen einer international gerechten Handelspolitik neu geregelt werden muss. Digitale Werbebildschirme an Bushaltestellen sind durchaus verzichtbar, wohingegen Hebehilfen für Pflegekräfte sinnvoll sind. In jedem Fall setzen wir uns für eine verpflichtende Garantie auf digitale Endgeräte von mindestens 3 Jahren ein. Für alle Geräte muss das Recycling der enthaltenen Rohstoffe verpflichtend sichergestellt werden.
Bildung mit Netzanschluss
Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, dass alle Menschen Zugang zu den digitalen Leistungen und Angeboten dieser Gesellschaft erhalten. Schüler*innen brauchen nicht nur mehr Lehrer*innen, sondern auch pädagogisch ausgebildete Ansprechpartner*innen, die sie beim digitalen Lernen begleiten, unterstützen und Fragen beantworten, damit Lernsoftware nicht zur virtuelle Ablage wird. Deswegen setzt sich DIE LINKE für kleinere Klassen, ausreichend qualifiziertes Lehrpersonal und die Reduzierung der Pflichtstundenzahl für Lehrende ein, um eine angemessene individuelle Betreuung und Förderung aller Kinder in der Schule zu gewährleisten. Wir fordern ein elektronisches Endgerät und ein mobiles WLAN für jedes Kind als Teil der von den Schulen entgeltfrei zur Verfügung gestellten Lehrmittel, der als Bestandteil der notwendigen Basisversorgung auch bei Zahlungsrückständen nicht abgestellt werden darf. Denn nur so kann allen Kindern die Teilnahme am digitalen Unterricht ermöglicht werden und allen Erwachsenen den Zugang zu digitalen Angeboten der öffentlichen Verwaltung, öffentlichen Bibliotheken etc.
Das Land digitalisieren
Besonders ländliche Regionen sind von schlechtem Netzausbau stark betroffen. Die Versäumnisse werden zum Flaschenhals der Digitalisierung – und somit auch zum Damoklesschwert digitaler Teilhabe in Zeiten der Coronakrise. Technische Zugangsmöglichkeiten werden zum sozialen und wirtschaftlichen Ausschlusskriterium. Was es braucht, ist einerseits eine Ad-hoc-Lösung für den Mobilfunk und andererseits ein Umdenken beim Breitbandausbau. Schnelle Abhilfe beim Mobilfunk könnte hierbei ein verbindliches nationales Roaming schaffen, um die Zahl der weißen Flecken zu minimieren. Dies hätte den Vorteil, dass automatisch das Mobilfunknetz genutzt wird, das die beste Verbindung und die höchste Datenbandbreite bietet. Niedrige Datenübertragungsraten wären damit in vielen Regionen passé. Ein Umdenken braucht es auch beim Breitbandausbau. Die privaten Anbieter waren bisher nicht willens den Ausbau der Mobilfunk- und Datennetze flächendeckend zu gewährleisten. Schnelles und stabiles Internet ist Teil der öffentlichen Daseinsfürsorge und sollte wie früher der Eisenbahnausbau staatlich organisiert werden. Der freie Markt hat beim Ausbau, besonders in ländlichen Regionen, schlicht versagt. Was wir brauchen, sind staatlich geförderte Glasfasernetze in öffentlichem oder genossenschaftlichem Eigentum. Jeder Haushalt muss ein Anrecht auf einen bezahlbaren, schnellen Breitbandanschluss haben. Eine schnelle Internetverbindung ist eine grundlegende Voraussetzung für gesellschaftliche, wirtschaftliche und digitale Teilhabe. Und das gilt nicht nur in Zeiten der Coronakrise.
Für die LINKE gilt: Wir streiten für eine digitale Demokratie und eine gemeinwohlorientierte Regulierung der Digitalwirtschaft in Deutschland und Europa. Digitalisierung als Möglichkeitsraum bedeutet Produktionsmittel und Teilhabe für alle, statt Verwertung und Profitinteressen für wenige!
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