Der Wiederaufbaufond der EU ist enttäuschend

Herr Präsident, Frau von der Leyen, Herr Michel! Es wird Sie nicht überraschen, dass ich nicht besonders enthusiastisch in Ihre Lobeshymnen mit einstimmen kann. Die Mitgliedstaaten haben sich nach langem Hin und Her endlich auf einen Aufbaufonds verständigen können, für den die Kommission gemeinsame Schulden aufnehmen wird – so weit, so gut. Europa hat sehr lange auf dieses – wenn auch bescheidene – Signal der Solidarität warten müssen.

Die Position meiner Fraktion war dabei immer klar: Die EU ist aufgefordert, eine umfassende Antwort auf die Corona-Krise zu geben und für die soziale und wirtschaftliche Erholung zu sorgen und diese mit der sozialdigitalen und sozialökologischen Transformation unseres Kontinents zu verbinden.

Wenn man dieses Ergebnis des Europäischen Rates an diesem Anspruch misst, dann ist es schlicht enttäuschend. Denn anstatt eines ambitionierten Aufbauplans bekommen wir jetzt ein Instrument, das nicht nur in seinem Volumen weit hinter dem Notwendigen zurückfällt, um einen Wirtschaftseinbruch von bis zu 10 % des europäischen Bruttoinlandproduktes zu bewältigen, sondern auch weiter auf die falsche Politik des Sparens und Kürzens setzt und damit weiter völlig kontraproduktiv Investitionen und Binnennachfrage abwürgt.

Eine Geisteshaltung, die den Aufbruch in ein neues europäisches Projekt hätte markieren können, fehlte diesem Ratstreffen; nationalstaatliche Egoismen dominierten. Das drückt sich auch darin aus, dass sich der Rat auf keinen expliziten Rechtsstaatlichkeitsmechanismus hat verständigen können. Freie Presse, eine unabhängige Justiz, die Gleichstellung von Frau und Mann, gewerkschaftliche Organisiertheit sind keine Güter, die man für ein paar Milliarden verramschen kann, sondern Grundfesten in einer Demokratie. Die Rückzahlung der Schulden über Eigenmittel ist im Prinzip eine gute Idee, Frau von der Leyen, doch allein mit der bislang konkret geplanten Plastiksteuer wird das nicht funktionieren: 3 Milliarden pro Jahr geschätzte Einnahmen, 390 Milliarden Zuschüsse, das macht einen Rückzahlzeitraum von 130 Jahren.

Gesellschaftliche Solidarität bedeutet eben auch Steuergerechtigkeit, und deshalb brauchen wir jetzt eine Digitalsteuer mit jährlichen Einnahmen von geschätzten 8 Milliarden Euro, eine Finanztransaktionssteuer mit geschätzten Einnahmen von 57 Milliarden Euro jährlich und eine Vermögensabgabe für superreiche Unternehmen. Superreiche müssen ihren Anteil am Aufbau tragen, und da finden Sie auch die zusätzlichen Mittel, von denen Sie gesprochen haben, Frau von der Leyen.

Übrigens, Herr Michel, anstatt sich von der Steueroase Niederlande vorführen zu lassen, – und das geht an alle hier –, sollten Steueroasen in der EU endlich geschlossen werden.

Auch der mehrjährige Finanzrahmen ist in seiner Höhe nicht ambitioniert genug und bleibt weit hinter den Forderungen und Positionen, die in diesem Haus oft artikuliert worden sind, zurück. Es braucht mehr Investitionen in die Zukunft. Es ist nicht glaubwürdig, genau dort zu sparen – zum Beispiel bei den Mitteln für die Digitalisierung, beim Gesundheitsschutz oder beim Just Transition Fund –, dort den Rotstift anzusetzen und gleichzeitig Militärausgaben und Investitionen in Waffensysteme immer weiter zu steigern.

Europa hat am letzten Wochenende eine Chance verpasst. Ich bin mir nicht sicher, ob es eine zweite dieser Art bekommen wird.