Antifaschismus gegen Autoritarismus in Europa
Viktor Orban hat Ungarn über viele Jahre in einen autoritären Staat umgebaut. Seitdem dürfen dort Minderheiten diskriminiert werden, der Rechtsstaat ist zu einem Relikt vergangener Tage verkommen und Nazis dürfen straffrei ihren Helden huldigen. In diesem Land wird nun auf unerträgliche Weise ein Schauprozess gegen eine antifaschistische Person inszeniert, ausgeliefert von der Bundesrepublik Deutschland.
Mein Blick auf die Budapest-Fälle
Mit Martina Renner, ehemalige Linken-Bundestagsabgeordnete, habe ich Maja T. im August 2024 in Untersuchungshaft in Budapest und Hanna S. im November in der Justizvollzugsanstalt in Nürnberg besucht. Wir wollten uns persönlich über die Situation vor Ort und ihre Haftumstände informieren. Zu dem Zeitpunkt waren beide bereits seit Monaten inhaftiert. Auch wenn für Hanna noch kein Auslieferungsersuchen von Ungarn vorlag, besteht weiterhin die Sorge, dass das noch geschehen kann.
Haft kann großen psychischen Druck erzeugen, der sich auf die Gesundheit auswirkt. Umso beeindruckter war ich, wie stark die inhaftierten Antifas sind. Für mich ist klar: Niemand darf nach Ungarn ausgeliefert werden. Das hat der Besuch bei Maja klar bestätigt. Die Verfahren in Deutschland müssen von der demokratischen Öffentlichkeit begleitet werden. Nur so können politische Verfahren, Vorverurteilung oder eine erneute rechtswidrige Auslieferung mit einer Nacht- und Nebelaktion wie im Fall von Maja verhindert werden. Auch meine Zusammenarbeit und Gespräche mit Ilaria Salis, Europaabgeordnete aus Italien, und ihre persönliche Geschichte bestätigen mich darin.
Deswegen haben Ilaria und ich auch im Dezember eine Veranstaltung im Europäischen Parlament in Brüssel organisiert. Wir wollten die Kluft zwischen der Straße und der antifaschistischen Arbeit der Linken im Parlament überbrücken und uns für den gemeinsamen Kampf vernetzen. Es kamen über 200 Antifaschist*Innen aus ganz Europa. Sie zeigten ihre Solidarität und berichteten über verschiedene Fälle der Repression gegenüber antifaschistischer Arbeit. Ilaria beschrieb ihre Zeit in Untersuchungshaft in Ungarn und konnte eindrucksvoll schildern, wie es durch öffentlichen Druck gelungen ist, sie über ein Abgeordnetenmandat im Europäischen Parlament aus dem Schauprozess in Ungarn zu befreien. Auch Majas Familie war gekommen und berichtete über die menschenunwürdigen Haftbedingungen, die Maja derzeit ertragen muss. Danach gab es eine gemeinsame Diskussion darüber, was Antifaschismus in der heutigen Gesellschaft und Welt bedeutet. Dabei wurden bewährte Praktiken und gemeinsame Widerstandstaktiken diskutiert und konkrete Strategien für die künftige Zusammenarbeit besprochen.
Der Aufbau von Öffentlichkeit und eine stärkere Berichterstattung sind ein Beitrag, den ich als Politiker leisten kann. Öffentliche Aufmerksamkeit und Druck sind leider allzu oft das einzig verbliebene Mittel im Kampf für eigentlich selbstverständliche Rechte. Durch eine stete Berichterstattung im Fernsehen, in Zeitungen, im Radio und auf Social Media können die Fälle im Budapest-Komplex und das widerrechtliche Vorgehen von Justizbehörden, auch in Deutschland, politisch skandalisiert werden. Deswegen war ich auch bei dem Prozessauftakt von Hanna in München und bei Maja in Budapest jeweils vor Ort.
Im Falle von Hanna scheinen die bayerischen Behörden jedes Maß verloren zu haben. Die Anklage u.a. wegen versuchten Mordes ist völlig unverhältnismäßig. Die Wahl des Verhandlungsortes im Keller der JVA, in der normalerweise Terrorismusverfahren mit besonderer Gefahrenstufe stattfinden, gleicht einer Vorverurteilung Hannas.
Allen Antifaschist*Innen in Untersuchungshaft muss ein Prozess in Deutschland zugesichert werden, da das ungarische Justizsystem politisch von Diktator Orban gesteuert wird. Die Zusicherung für ein faires Verfahren in Deutschland muss auch für den syrischen Geflüchteten Zaid A. gelten. Zaid hatte sich mit sechs weiteren Antifaschist*Innen im Januar freiwillig den deutschen Behörden gestellt. Zaid ist kein deutscher Staatsangehöriger, aber lebt seit mehreren Jahren in Nürnberg, hat seinen Schulabschluss dort gemacht und ist dort sozial und politisch engagiert und verwurzelt. Meine Kollegin Lea Reisner, neugewählte Bundestagsabgeordnete, hat Zaid vor kurzem in der JVA in Köln besucht. Gegen ihn ist kein deutscher Haftbefehl ausgestellt worden, sondern nur ein europäischer von den ungarischen Behörden. Ihm droht somit die Auslieferung nach Ungarn. Das muss unbedingt verhindert werden, da Menschenrechte unverhandelbar sind und für alle gelten.
Ähnliches droht Rexhino Abazaj, bekannt als Gino, der in Paris aufgrund eines europäischen Haftbefehls festgenommen wurde. Die ungarischen Behörden werfen auch ihm vor, an der antifaschistischen Mobilisierung während des sogenannten „Ehrentags“ in Budapest im Februar 2023 teilgenommen zu haben. Gino, ein 32-jähriger albanischer Staatsbürgersitzt derzeit im französischen Gefängnis Fresnes. Er wuchs in Italien auf, doch die italienische Staatsbürgerschaft wurde ihm verweigert, weil es angeblich Geheimdienstberichte über sein Engagement in sozialen Bewegungen gab. Das ist ein Paradebeispiel dafür, wie staatliche Überwachung Aktivismus unterdrückt. Danach zog er nach Finnland, wo er seit vielen Jahren auch arbeitet. Ungarns Auslieferungsersuchen gegen Gino gibt Anlass zu großer Sorge. Eine Auslieferung Ginos oder Zaids, wie die von Maja, würde für sie politisch motivierte Strafverfolgung und unverhältnismäßig harten Strafen bedeuten. Diese Fälle sind erschreckendes Zeugnis des wachsenden Einflusses der extremen Rechten und der Gefahren, denen alle ausgesetzt sind, die sich ihnen entgegenstellen.
Bei Majas Prozessauftakt in Budapest wurde das unfaire Vorgehen und die Vorverurteilung überdeutlich. Maja wurde schwer gefesselt dem Richter vorgeführt. Mehrmals hatte ich den Eindruck, dass dem Richter, übrigens der gleiche wie im Prozess gegen meine Kollegin Ilaria, die Anträge der Verteidigung vollkommen gleichgültig waren. Kraftvoll und rührend zugleich waren dagegen Majas eigene Worte, die von „Free Maja“-Rufen einer Demo von draußen lautstark begleitet wurde.
Am zweiten Prozesstag wurde Maja wieder schwer gefesselt vor den Richter geführt, während eine große Gruppe bekannter Neonazis das Gerichtsgebäude bewachten und versuchten, Freunde und Verwandte von Maja einzuschüchtern. Die Neonazis machten dabei Bilder und Videos von Unterstützer*Innen und veröffentlichten diese im Anschluss online. Sie drohten damit, die Namen der Prozessteilnehmenden an Neonazi-Gruppen in Deutschland, Griechenland und Italien weitergeben zu wollen. Woher und ob sie die Listen der Prozesszuschauer haben, bleibt offen.
Als parlamentarischer Prozessbeobachter bleibt mir nur festzustellen, dass Majas Prozess offensichtlich ein Rachefeldzug Orbans gegen antifaschistischen Kräfte in Europa ist. Hier soll ein Exempel statuiert werden. Es geht der ungarischen Justiz darum, Maja zu zermürben, um ein Schuldeingeständnis zu erzwingen. Auch die Anklageschrift gegen Maja T. ist vollkommen überzogen und Majas Behandlung widerspricht jeglichen rechtsstaatlichen Grundsätzen. Die neue Bundesregierung muss dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass Majas Auslieferung rechtswidrig war, folgen und schnellstmöglich eine Rücküberstellung nach Deutschland erwirken. Der deutsche und europäische Kuschelkurs gegenüber Orbans Regime muss endlich ein Ende haben.
Die Justiz unter Viktor Orbáns Regime wird schon seit Jahren von Anwält*Innen und NGOs für ihre mangelnde Unabhängigkeit und ihre Nichteinhaltung der EU-Standards für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kritisiert. Internationale Menschenrechtsorganisationen haben Ungarns politische Prozesse gegen Dissidenten und die systematische Aushöhlung der bürgerlichen Freiheiten dokumentiert. Für mich und meine Partei Die Linke ist klar: Es darf keine weiteren Auslieferungen nach Ungarn geben. Im Europaparlament setze ich mich für ein EU-weites Auslieferungsverbot an Mitgliedstaaten, die rechtsstaatliche Standards nicht einhalten, ein. Auch in den nächsten Monaten werde ich erneut nach Budapest, München und andere Orte, in denen Prozesse gegen Antifaschist*Innen stattfinden, reisen. Lasst uns gemeinsam öffentlichen Druck aufbauen und gegen autoritäre Kräfte stellen, die jegliche antifaschistische Arbeit unterbinden wollen und bekämpfen. An alle eingesperrten Antifaschist*innen in Ungarn, Frankreich und auch Deutschland sende ich Kraft. Ihr seid stark! Wir stehen hinter euch! Haltet durch! FreeAllAntifas!
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